Ich wünschte mir eine "wilde Kirche"

Zu Beginn der Sommerzeit schenkt mir das Leben eine kurze Auszeit in einem verwunschenen Seitental des Centovalli: Terra Vecchia, die alte kleine Siedlung mit Kirche und Konvent, erreichbar nur mit den eigenen Füssen - fernab jeglicher Geschäftigkeit.... Mit jedem Meter, zwischen dem Appenzeller Mittelland und dem Centovalli rückt das scheinbar Wichtige in den Hintergrund, wie die Sorge um die Zukunft «meiner» Kirche, die sich irgendwie selbst verloren hat in den Veränderungen der Gesellschaft. Im Gepäck liegt meine Lektüre mit dem augenfälligen Titel für diese Auszeit: «Wilde Kirche». Ich beginne zu lesen und finde mich immer mehr in den Erfahrungen des Franziskanerbruders Jan Frerichs. Er schreibt als Mensch, der seine spirituelle Heimat in der Kirche kaum mehr findet und sich im konventionellen Christentum und in der Institution Kirche nicht mehr zuhause fühlt. Er schreibt, was ich fühle. Und er hat gefunden, wo ich noch suche: Kirche hat ihre Bedeutung nicht verloren – im Gegenteil. Sie darf nicht mehr weitermachen, wie bis anhin, sondern muss wieder zu ihrer Authentizität zurückfinden, wenn sie Kraft haben will. Die Zeit der Organisation und Institution ist vorbei. Sie muss «wilder» sein, um Menschen zu berühren. Wild im Sinne, dass sie dem wirklichen und ganzheitlichen Leben näherkommt. Es geht nicht mehr bloss um gültige Eucharistie, Kirchenvolk, Amt und Weihe. Es geht heute um den tiefen Blick dafür, dass Gott überall ist und mit jedem Menschen seine eigene Heilsgeschichte schreibt. Hier oben, in Terra Vecchia, fernab vom Alltag erkenne ich wieder, weshalb ich Seelsorger geworden bin, nämlich um den Menschen den Blick zu öffnen, dass ihr Leben Bedeutung, Sinn und Ziel hat, dafür bin ich Seelsorger geworden.